Das ausgeklügeltste Weihnachtsgeschenk der Welt: Fragen stellen!

Glühbirne vor glitzerndem Konfetti
Foto: Unsplash, Lucero Zach

Fragen Sie sich Ende Jahr auch regelmässig, rituell, zwangsläufig oder zufällig, was das vergangene Jahr gebracht und mit Ihnen gemacht hat? Was die High- und die Low Lights waren? Ob Sie dieses Jahr wirklich glücklich waren und wenn ja, in welchen Momenten? Und wenn nein, warum nicht? 

Oder erscheint Ihnen Ihre Seele zuweilen als schwarzes Loch? Also super abgefahren und kompliziert wie Sagittarius A*? (Das ist übrigens mein liebstes schwarzes Loch bisher, wegen des Sterns im Namen. Schön, nicht?) Weiss niemand, was in diesem dunklen Teil in Ihnen vorgeht, inklusive Sie selber? Dann lassen Sie uns doch ein wenig Licht ins Dunkel bringen, indem wir tiefer graben. Bekanntlich führen viele Wege nach Rom und es gibt zahlreiche Möglichkeiten, sich selber zu erkunden, mithilfe mannigfacher spannender Therapieangebote von A wie Aroma bis Y wie Yoga (fällt Ihnen eine Therapieform mit Z ein?). Da mein Fachgebiet die Sprache ist, bleibe ich bei diesem Leisten: Ich stelle Ihnen Fragen vor, mit denen Sie sich selber entdecken können.

Wer richtig fragen kann, ist ein*e Superheld*in.

Anderen Fragen zu stellen und aufmerksam zuhören zu können, die Erfahrungen des Gegenübers empathisch aufzunehmen und darauf zu reagieren ist eine menschliche Superkraft. Jiddu Krishnamurti, indischer Philosoph, der immer wieder zum Ausdruck brachte, dass alle menschlichen Konflikte Auswirkungen des inneren Zustandes des jeweiligen Menschen sind, ersuchte alle Zuhörenden seiner Vorträge, auch ihn und seine Aussagen zu hinterfragen. Unter anderem so (frei übersetzt): «Kannst du gleichzeitig dem zuhören, was der*die Sprecher*in sagt und deiner inneren Reaktion darauf, und deine innere Reaktion nicht nach dem Gesagten, nicht nach aussen richten?»

Wenn Sie diese Fähigkeit zur Reflexion besitzen, d.h. sich selber Fragen nicht nur stellen, sondern auch schonungslos sich selber gegenüber beantworten können, dann wäre ich wahnsinnig gern Ihre Arbeitskollegin, Kundin, Freundin. Und ganz viele andere Menschen auch. 

«Fragen stellen und ehrlich zuhören ist eine Superkraft.»

Haben Sie sie?

Jetzt wollen Sie Ihre Fähigkeit zur Selbstreflexion unter Beweis stellen?

Et voilà: Ich habe ein paar Fragen für Sie zusammengestellt, dank derer Sie das prüfen und sich gleichzeitig selber besser kennenlernen können. Einige habe ich erfunden, einige habe ich frei nach Max Frischs «Fragebogen» (Bibliothek Suhrkamp, 1992) modifiziert und gendergerecht umgeschrieben. («Fragebogen» ist übrigens ein wunderbares Weihnachtsgeschenk für Menschen, die gerne denken.) Je nach Zeitbudget (vor Weihnachten sind wir ja immer alle so busy mit Geschenke Organisieren und Päckli machen, weil Weihnachten immer so überraschend kommt), gibt es zwei Varianten, diese zu beantworten:

  • Grosses Zeitbudget, denn Sie haben alle Weihnachtsvorbereitungen schon getroffen oder müssen keine treffen, weil das jemand anders für Sie macht oder Sie gar nicht feiern: Sie beantworten alle Fragen. Der Reihe nach oder durcheinander. Im Gespräch mit einer nahestehenden Person oder schriftlich allein.
  • Kleines Zeitbudget, weil Sie an so vielen Weihnachtsapéros und -essen teilnehmen müssen oder eben die Person sind, die für obenstehende Person alle Vorbereitungen trifft: Suchen Sie sich zwei Frageblöcke aus. Am besten blind. Es werden schon die richtigen sein.

Achtung, fertig, ehrlich sein! 

Wir beginnen mit Gemach und steigern dann die Intensität.

1) Was gibt es bei Ihnen zu essen an Weihnachten?

  • Gibt es das immer?
  • Bereiten Sie das zu?
  • Bereitet das Essen immer dieselbe Person zu oder wechseln Sie ab?
  • Warum?
  • Was würde Ihrer Meinung nach passieren, wenn Sie vorschlagen würden, es nächstes Jahr mal anders zu machen?

2) Schenken Sie jemandem etwas zu Weihnachten?

  • Wem schenken Sie etwas?
  • Warum schenken Sie dieser Person etwas?
  • Bekommen Sie selber etwas geschenkt? 
  • Von wem? 
  • Warum?
  • Hält sich der Aufwand, den andere sich für Ihr Geschenk machen, jeweils die Waage mit dem Aufwand, den Sie sich machen?

3) Halten Sie sich für eine*n gute*n Freund*in?

  • Warum?
  • Warum nicht?
  • Für wen ja?
  • Für wen nicht?
  • Wie viel Aufrichtigkeit von einer befreundeten Person ertragen Sie?
  • Spielt es dabei eine Rolle, ob… in Gesellschaft?/ …unter vier Augen?/ …schriftlich?
  • Sind Sie sich selber ein*e gute*r Freund*in*?

4) Was empfinden Sie als Eigentum?

  • Was Sie gekauft haben?
  • Was Sie erben?
  • Was Sie gemacht haben? 
  • Ihre Kinder?
  • Ihre*n Partner*in?
  • Ihre Angestellten?

5) Tun Ihnen die Frauen und/ oder nonbinäre Menschen leid?

  • Warum?
  • Warum nicht? 
  • Glauben Sie an Biologie, d.h. dass das derzeitige Verhältnis zwischen Mann und Frau und LGTBQIA+ -Menschen unabänderlich ist, oder halten Sie es beispielsweise für ein Resultat der jahrtausendelangen Geschichte, dass nur Männer für ihre Denkweise eine eigene Grammatik haben, und alle anderen deshalb auf die männliche Sprachregelung angewiesen sind und infolgedessen unterlegen?
  • Warum? 
  • Warum nicht?
  • Bröckelt das Patriarchat Ihrer Meinung nach?

6) Haben Sie Humor?

  • Auch, wenn Sie allein sind?
  • Wenn Sie von einem Menschen sagen, er*sie habe Humor: meinen Sie damit, dass er*sie Sie zum Lachen bringt oder dass es Ihnen gelingt, ihn*sie zum Lachen zu bringen?
  • Finden Sie, Humor ist, wenn man trotzdem lacht oder gibt es auch unangebrachten Humor, gegen den Sie sich besser auflehnen sollten? Tun Sie das? Oder tun Sie es der guten Stimmung zuliebe meist nicht?
  • Gesetzt den Fall, Sie glauben an Gott (denn der*die ist ja in aller Munde an Weihnachten): Kennen Sie ein Anzeichen dafür, dass er*sie Humor hat?

7) Hoffen Sie angesichts der aktuellen Weltlage…

  • …dass es weitergeht wie bisher?
  • …auf die Vernunft?
  • …auf ein Wunder?

Achten Sie darauf, dass Sie sich nicht selber bewerten bei der Beantwortung der Fragen. Es geht einzig darum, dich selbst besser kennen und reflektieren zu lernen. Auch, wenn Sie manche Ihrer eigenen Antworten ärgern: Seien Sie gut zu sich. 

Das sollten Sie stets sein. Schliesslich sind Sie der einzige Mensch, der zumindest ansatzweise weiss, was in Ihnen vorgeht. Und dann ist auch noch Weihnachten, das Fest der Liebe. Also gehet hinaus und liebet eure Mitmenschen – wie Ihr euch selbst liebt.

Ich wünsche Ihnen schöne Weihnachten. Was auch immer Sie darunter verstehen (Ruhe und Besinnlichkeit, Party und laute Musik, Familie oder Freund*innen, rausgehen oder drinnen bleiben): Ich hoffe, dass es noch besser wird, als Sie es sich vorstellen. Und wer weiss, vielleicht treffen wir uns im neuen Jahr einmal und stellen einander persönlich Fragen. Das würde mich freuen.

Herzlich, Asha Ospelt-Riederer

P.S. Die eine oder andere Frage, schriftlich von Hand auf einer schönen Karte beantwortet, könnte sich durchaus als Weihnachtsgeschenk eignen. Eines, in dem viele Gedanken, Umsicht, Energie und Liebe steckt.