Die Arbeitswelt braucht Hausfrauen!
Der Lebenslauf ist das Herzstück einer Bewerbung. Was aber, wenn er eine Lücke aufweist? Egal, was du in der «Lücke» gemacht hast: Offenbar war einfach es zu nonkonform für die gängige Vorstellung unserer Arbeitswelt. Das macht dich schon mal interessant, wie ich finde.
Per Definition ist eine Lücke im Lebenslauf ein Zeitabschnitt innerhalb der beruflichen Laufbahn, in der man keiner Tätigkeit (Job, Praktika, Studium, Aus- oder Weiterbildung) nachkommt. Aber wie kann ein Lebenslauf in der Realität eine Lücke haben? Hast du aufgehört zu atmen, dich einfrieren lassen, gestoppt zu existieren? Nicht nur ich bin überzeugt, dass in genau diesen «Lücken» die wertvollsten Erfahrungen gemacht werden. Und darauf solltest du setzen, wenn du dich für eine Stelle bewerben möchtest oder mit dem Gedanken spielst, dich selbstständig zu machen.
Wir nehmen heute die grösste, gefürchtetste und gleichzeitig am weitesten verbreitete «Lücke» unter die Lupe: Care-Arbeit zuhause aka Mutterschaft aka der Job als Mutter und Hausfrau.
Hausfrau und Mutter: die Lücke schlechthin
Richtig gelesen: Die Genderspezialistin gendert nicht, nichts mit «Elternschaft» und «Haushaltsführende». Gendern ist hier nicht angebracht, denn auch wenn es immer mehr Väter gibt, die Care-Arbeit übernehmen, so ist der Gender Gap immer noch riesig: In der Schweiz waren 2020 knapp 31% der Frauen «Nichterwerbspersonen», also Hausfrauen – im Vergleich zu 3% der Männer, die als Hausmänner fungiert haben. (Dieser Anteil ist übrigens grösser als der der Rentnerinnen (21.5%) im Vergleich zu den Rentnern (30.9.%). Wie um Himmles willen geht das, wenn Frauen doch älter werden als Männer und das Rentenalter der Frauen niedriger ist als das der Männer? Ganz einfach: Die meisten Frauen arbeiten ein Leben lang unbezahlt. Unbezahlt. Ein Leben lang. Muss man sich mal geben.)
Aber zurück zum eigentlichen Thema: Ein Lebenslauf kann keine Lücken haben, denn kein Leben hat Lücken, nur weil jemand laut Definition des Arbeitsmarktes nicht berufstätig war. Wenn du Hausfrau und Mutter warst, warst du in einem anderen Beruf tätig. In einem Beruf, für den es keine Lehre gibt, weil er so viele Berufe in sich vereint. Ein Beruf, der unglaublich komplex ist und Menschen, die ihn ausüben, nicht nur körperlich viel abverlangt, sondern sie vor allem auch mental vor enorme Herausforderungen stellt. Wenn du diesen Beruf einmal ausgeübt hast, dann bist du die perfekte Führungskraft!
Warum Hausfrauen perfekte Führungskräfte sind
Das würde auch Michael Page, weltweit tätiges Personalberatungs- und Personalvermittlungsunternehmen, bestätigen. Das Unternehmen zählt in seinem Blog auf die zehn wichtigsten Führungsqualitäten für Manager*innen auf. Ich habe sie aufbereitet und ergänzt. Schauen wir uns die sieben meiner Meinung nach wichtigsten davon an.
1. Vorbild sein
«Führungspersönlichkeiten haben immer eine Vorbildfunktion, denn als Chef*in steht man ständig unter Beobachtung.» Die Vorbildfunktion beherrschst du als Mutter aus dem Effeff. Kinder lernen durch Nachahmen, das wurde dir sicher schneller klar, als dir lieb war. Du haust mit der Faust auf den Tisch? Das Kind macht es nach. Du antwortest nicht auf Fragen, weil du noch eine Mail auf dem Handy beantworten musst? Du sagst «sch…»? Du weisst, wo das alles hinführt. In diesem Haushalt kannst du dir nichts mehr erlauben, das nicht vorbildlich ist, wenn du dir das Leben nicht noch schwerer machen willst. Die Abgewöhnung Ihrer schlechten Angewohnheiten dauert etwa drei Wochen, bis sie nachhaltig ist. Je länger du also vom Job weg warst, umso mehr schlechte Gewohnheiten konntest du dir abtrainieren und umso vorbildlicher bist du wahrscheinlich.
2. Kommunikationsfähigkeit
«Ein grosser Teil der Arbeit von Manager*innen besteht darin, Inhalte und Strategien nach aussen und innen zu kommunizieren und auch stets ein offenes Ohr für die Anliegen der Mitarbeitenden zu haben.» Schon Kleinkindern müssen sämtliche Entscheidungen plausibel erklärt werden. «Wir gehen jetzt einkaufen. Ja, ich weiss, du möchtest lieber weiterspielen, aber heute Abend möchtest du auch dein Fläschchen trinken und wirst traurig sein, wenn keines da ist.» Nicht, dass das jeweils etwas nützen würde. Das Kind schreit beim Schuhe Anziehen wahrscheinlich trotzdem. Aber du versuchst es immer und immer wieder. Im Teenager-Alter gipfelt das Ganze dann. Womit wir schon beim nächsten Punkt wären.
«Wir sollten die Zeit, in der wir Erziehungsarbeit leisten, als „Intensivweiterbildung auf physischer und psychischer Ebene“ bezeichnen.»
Oder als „Horizonterweiterungssdoktorat“ oder als „Special Skills Boot Camp“.
3. Flexibilität
«Wer schnell auf unvorhergesehene Situationen reagiert und Lösungen findet, macht einen guten Job.» Erziehungsarbeit ohne flexibel zu sein ist unmöglich. Du weisst, dass ein Tagesplan zwar grob umrissen werdenkann, ob er allerdings eingehalten werden kann, steht auf einem anderen Blatt geschrieben. Dazu kommt, dass die Phasen, die Kinder in ihrer Entwicklung durchleben, sich stark voneinander unterscheiden und teilweise unerwartet eintreffen. Was gestern top war, ist heute flop und was morgen kommt, daran wagen wir nicht einmal zu denken – wir reagieren einfach flexibel darauf. Was uns direkt zum nächsten Punkt bringt:
4. Krisenmanagement
Du bewahrst auch in extremen Stresssituationen die Ruhe und hast Nerven wie Drahtseile. Das hast du zum Beispiel bei Tisch gelernt: Du hast das Würstchen deines dreijährigen Kindes wie üblich in Stücke geschnitten. Nun schreit es sich die Seele aus dem Leib – heute wollte es das Würstchen ganz essen. Was nun? Zusammenkleben?
5. Team zusammenstellen
Als Hauptbetreuungsperson von Kindern koordinierst du immer wieder neue Netzwerke, je nach Problemstellung. Abendbetreuung, Geburtstag, Schulweg. Spätestens, wenn dein Kind zum ersten Mal krank ist, stellst du eine Task Force zusammen: Anruf bei den Eltern oder Grosseltern («Was habt ihr damals gemacht?»), Freundin Inge schwört auf ätherische Öle, Onkel Fritz kennt sich aus mit Tees, Cousin Silvio ist Kinesiologe, die Nummer der Kinderärztin liegt auch bereit.
6. Verantwortungsbewusstsein
Du hast die Verantwortung für neues Leben übernommen. Ohne dich hätte ein Mensch (oder mehrere) nicht überleben können. Mehr muss dazu nicht gesagt werden.
7. Akzeptanz von Fehlern und Potenziale erkennen
Im besten Fall hast du als Elternteil nicht nur gelernt, deine Kinder mit all ihren Fehlern anzunehmen, sondern auch dich selber. Und natürlich siehst du in deinen Kindern immer und überall Potenzial. Manchmal treten überraschende Talente zutage («Oh, du kannst mit der Nase Flöte spielen?!»). Wenn dir dieses Feld an ungeahnten Fähigkeiten erst einmal bewusst wurde, wirst du auch in der Arbeitswelt mit offenen Augen und Ohren auf Potenziale und Schwierigkeiten deiner Angestellten eingehen können.
Fazit
Kinder bereichern das Leben. Durch sie lernen wir unglaublich viel. Diese Learnings können wir auch im Arbeitsleben nutzen – nicht nur wir selber, sondern auch die Unternehmen, für die wir arbeiten, profitieren von dieser «Lücke» der Kinderbetreuung, die ab sofort besser «Intensivweiterbildung auf physischer und psychischer Ebene», «Special Skills Bootcamp» und «Horizonterweiterungsdoktorat»genannt werden sollte. Mach dir selber klar, dass du, weil du nicht brav auf dem Arbeitsweltpfad geblieben bist, durch deine Abzweigung wesentlich mehr gelernt als durch jede konventionelle Weiterbildung. Wenn du dich also für eine Stelle bewerben möchtest, staple bitte nicht tief. Bewirb dich für die Führungsposition. Denn dafür hast du dich selber ausgebildet.
Herzlich, Asha Ospelt-Riederer
P.S. Es gibt übrigens ein Gütesiegel für familienfreundliche Unternehmen. Und immer mehr Firmen kommen darauf, dass Führungspositionen auch in Teilzeit ausgeübt werden können.
P.P.S. Meine geheimen Special Skills, die ich erst habe, seit ich Mutter bin:
- Ich kann Socken und anderes mit einem Fuss vom Boden aufheben, wenn beide Hände andersweitig (beispielsweise mit einem Baby, einer Rührkelle, einem Handy zwecks Mailbeantwortung, einer Tasse Kaffee (meist kalt)) besetzt sind.
- Ich kann exakt 170ml heisses Wasser blind in ein Gefäss leeren. Vom vielen Fläschenzubereiten. Ich weiss jetzt nicht, wofür das in der Arbeitswelt gut sein soll, (ausser, ich wechsle irgendwann in ein Labor, vielleicht) aber trotzdem beeindruckend, oder?
Was sind deine Special Skills? Ich freue mich, davon zu erfahren! Auf Instagram, LinkedIn oder per Mail. Bis bald!