Fair kommunizieren ohne Genderstress (aber rechtschreibkonform).

Photo: Unsplash, Erwans Socks

Ich verstehe alle, die nicht gendern.

Das klingt ziemlich bedenklich, wenn das eine Expertin für gendersensible Kommunikation sagt, nicht wahr? Aber ich meine es ernst. In meinen Augen ist niemand ein schlechter Mensch, wenn sie*er nicht gendergerecht kommuniziert. 

Ich glaube nämlich, dass die meisten Menschen sich echt Mühe geben, gute Menschen zu sein. Wir tun das alle auf unsere eigene Weise und mit der Kapazität, die uns zur Verfügung steht: Im eigenen Fachgebiet, innerhalb der eigenen Interessen und Zeit. Viele Menschen erziehen ihre Kinder sehr umsichtig, manche ergreifen altruistische Berufe, wir trennen den Müll, besuchen einsame Menschen, essen weniger Fleisch, sind ehrlich zu unseren Mitmenschen, versuchen weniger Abfall zu produzieren, hüten die Kinder unserer Nachbar*innen und/oder/und/oder.

Wir geben uns ja Mühe, aber…

Aber irgendwann ist unsere Kapazität einfach erschöpft. Für ein weiteres Gebiet reicht es nicht. Wir sind froh, wenn wir etwas machen können wie immer, ohne gross nachzudenken. Wenn Dinge beständig sind und gewohnt – inmitten all der Stürme um uns herum. 

Ausserdem können wir nicht zu jedem Fachgebiet Recherche betreiben und müssen uns auf die Informationen verlassen, die da sind. Die der klassischen Medien sind oft die lautesten und damit die, die hängen bleiben. In Bezug auf das Gendern sind diese Informationen vielfach polemisch und negativ (Warum das so ist, werde ich in einem nächsten Blogartikel erklären.) und so ist es kein Wunder, dass viele Menschen lieber die Finger vom Gendern lassen.

Das Umkehrprinzip zeigt, wo die Hündin begraben liegt.

Warum es Sinn macht, die Finger trotzdem auf die Sprache zu halten, zeigt sich dann, wenn wir den Spiess umdrehen. Wenn wir ab sofort nur noch in der weiblichen Form kommunizieren würden, statt in der männlichen. (So im Sinn von: Lassen wir doch den Alle-gleichwertig-ansprechen-Quatsch. Machen wir es einfach. Die Männer sind ab jetzt mitgemeint. Das wäre dann kurz, bündig und grammatikalisch einfach anzuwenden.) Also nennen wir jetzt alle Kundinnen und die Männer gehören einfach dazu. Da seit Jahrhunderten das generische Maskulinum gebraucht wird, wäre es jetzt doch nur fair, wenn sich nach dem Rotationsprinzip die nächsten paar Jahrhunderte die Männer mitgemeint fühlen sollen. Ab sofort titeln die Zeitungen «Schülerinnen werden immer intelligenter» und «50 Fahrzeugherstellerinnen an der Autoausstellung» und «Verwaltungsrätinnen der Schweiz gegen Boni» und meinen alle.

Aber, wäre das fair, nur noch in der weiblichen Form zu kommunizieren? Nein, natürlich nicht. Es wäre genauso unfair, wie das generische Maskulinum es ist, das wir immer noch mehrheitlich benutzen. Denn in unseren Köpfen würden fortan weibliche Bilder stecken.

«Das Mindestanliegen der gendersensiblen Sprache ist, dass die Frauen, aus denen die Gesellschaft zur Hälfte besteht, auch sprachlich vorhanden sind.»

Den ersten Mann im Gebärsaal hat man interessanterweise auch nicht Hebamme genannt.

Und wie graben wir die Hündin aus?

Nun, dass Männer und Frauen in vielen Lebensbereichen nicht gleich behandelt und/oder beurteilt werden, ist bekannt und belegt. Dass Sprache dem entgegenwirken kann, ebenfalls. (Das erörtere ich in verschiedenen Blogartikeln, z.B. in meinem allerersten: «Wie wir die Welt gerechter machen. Mit Sprache.»)

Auch die Bundeskanzlei der Schweiz hat im Sommer 2021 befunden: «Das generische Maskulin (Bürger) ist nicht zulässig.» Die männliche Form anzuwenden, wenn auch andere Geschlechter gemeint sind, ist nicht mehr erwünscht. Das bedeutet, dass auch die oberste Behörde (und wir wissen, dass diese Mühlen manchmal besonders langsam mahlen) anerkennt, dass die deutsche Sprache sich negativ auf Frauen auswirkt. Und dass sie sprachlich handelt.

Wie kann ich gendern ohne Polemik?

Die Bundeskanzlei möchte sprachliche Formen der Nonbinarität zunächst nicht aufnehmen, konkret den Genderstern oder den Doppelpunkt. Sie geht damit konform mit dem Rat der deutschen Rechtschreibung, der bisher nur männliche und weibliche Formen als orthographisch zulässig befindet.

Frauen und Männer sprachlich gleichwertig abzubilden war von Anfang an das Anliegen der Forscher*innen, die in den 70er-Jahren darauf aufmerksam gemacht haben, dass die deutsche Sprache eine männliche Sprache ist. Mit fraueneinbindender Sprache wirken Sie nicht allen, aber vielen Geschlechterstereotypen entgegen, ohne, dass Sie sich in eine Genderdiskussion verwickeln lassen müssen. Dafür gibt es verschiedene Formen, die auch rechtschreibkonform und damit auch für Schule, Behörden und Rechtspflege geeignet sind und die ich Ihnen im Folgenden kurz vorstelle.

Wie geht das konkret?

Die Doppelform:Um Männer und Frauen gleichwertig abzubilden, sagen Sie einfach: «Frauen und Männer». 
Oder «Lehrerinnen und Lehrer». Oder «Pfleger und Pflegerinnen». Oder «Schreinerinnen und Schreiner». Oder «verehrte Damen und Herren». Welche Reihenfolge Sie wählen – weibliche oder männliche Form zuerst – spielt dabei keine Rolle, das entschieden Sie nach Lust und Laune. 
Der Schrägstrich:Wenn die Doppelform Ihnen zu lang ist, können Sie abkürzen: «Schreiner/-innen» oder «Schreiner/innen». Rechtschreibkonform ist die erste Schreibweise mit dem Bindestrich. Und aufgepasst: Wenn Sie orthographisch korrekt sein müssen, weil Sie in einer Schule oder bei einer Behörde angestellt sind, müssen Sie auch darauf achten, dass das abgekürzte Wort grammatikalisch alleinstehen könnte. «Ärzt/-innen» wäre in diesem Fall nicht korrekt, denn es gibt keine «Ärzt». In solchen Fällen können Sie auf die Doppelform ausweichen oder ein alternatives Wort wählen, z.B. «Mediziner/-innen».
(Der Schrägstrich ist übrigens die Nachfolgelösung für die Klammerschreibung, an die Sie sich vielleicht auch noch erinnern: Schreiner(-innen). Diese wurde schnell (also etwas zwei Jahrzehnte) als antiquiert befunden, weil die weibliche Form als Anhängsel der männlichen etwas gar stark hervorgehoben wird durch die Klammer: das Weibliche als Bemerkung am Rand.)
Die Binnenmajuskel:Möglicherweise kennen oder benutzen Sie das Binnen-I, das in den 80er-Jahren aufgekommen ist: «SchreinerInnen». Das ist eine wunderbare, saubere, kurze Möglichkeit, Frauen und Männer anzusprechen. Funktioniert gleich wie der Schrägstrich. Rechtschreibkonform ist sie bis anhin leider nicht.
Die neutralen Formen:Geschlechtsneutrale Formen geben keine Auskunft über das Geschlecht der Agierenden. Beispiele sind LehrpersonFührungskraft oder Partizipien wie Studierende oder Mitarbeitende. Die Anwendung geschlechtsneutraler Ausdrücke ist ein praktikables Mittel zur Umgehung des generischen Maskulinums oder platzintensiver Doppelnennungen. Falls Sie Hilde brauchen bei Umformulierungen gibt es wunderbare Tools im Internet, z.B. genderapp.org oder geschicktgendern.de und mein Blogartikel «So ist Gendern einfach!»

Nochmal kurz und bündig

Formen:– Paarformen (Bürgerinnen und Bürger) – rechtschreibkonform
– Kurzformen mit Schrägstrich (Bürger/innen oder Bürger/-innen) – rechtschreibkonform mit Bindestrich
– Kurzformen mit Binnen-I (BürgerInnen)
– geschlechtsneutrale Formen (Anwesende, Stimmvolk) – rechtschreibkonform
Vorteile:
– Frauen und Männer werden gleichwertig angesprochen. Durch die Sichtbarmachung in der Sprache entstehen in den Köpfen auch Bilder von Frauen.
– rechtschreibkonform (ausser Binnen-I)
– d.h. für Schule, Behörden und Rechtspflege geeignet (ausser Binnen-I)
– unkompliziert
– gratis
– einfach umzusetzen (vgl. «Challenge accepted: Wie Sie ganz einfach mit Gendern im Alltag starten.»)

Der Anspruch fairer Kommunikation ist es nicht, eine sprachliche Umkehrung der Machtverhältnisse zu implementieren oder dass eine Minderheit sprachlich eine Mehrheit dominieren soll. Im Gegenteil: Das Mindestanliegen ist, dass die 50% Frauen, aus denen die Gesellschaft besteht, auch sprachlich repräsentiert sind.

Ich hätte gerne eine Sprache, die den Boden bereitet für ein gleichberechtigtes Mit- und Nebeneinander. Eine Sprache, die alle einschliesst (deshalb benutze ich den Genderstern, der auch non-binäre Menschen abbildet), zumindest aber die beiden dominierenden Geschlechter zeigt. Deshalb ist es ein durchaus ein gangbarer Weg, fraueneinbindend zu kommunizieren.

Etwas Gutes zu tun ist schliesslich immer besser, als nichts zu tun, oder?

Alles Liebe

Asha Ospelt-Riederer

P.S. Warum ich selber nicht nur fraueneinbindend, sondern geschlechtergerecht gendere, lege ich dar in meinem Blogartikel «Warum ich den Genderstern benutze (und nicht den Doppelpunkt)».

P.P.S. Falls Sie Unterstützung brauchen: Ich halte Vorträge, gebe Workshops und berate auf Anfrage Ihr Unternehmen in punkto gendersensibler Kommunikation. Und wenn Sie kleinere Anliegen und Fragen haben: Schreiben Sie mir doch einfach. Ich schreib zurück, so schnell ich kann, versprochen.