Muttertag 2.0. Ohne Staub und Klischees.
Morgen ist Muttertag. Der Tag, an dem Mütter gefeiert werden mit Gedichten und Schokolade, Blumen und Gebasteltem. Der Tag, an dem ich seit fünf Jahren innerlich ein bisschen verkrampfe. Weshalb? Drei Gründe und doppelt so viele Lösungsvorschläge.
Der erste Grund: Ich empfinde es als unfair, dass dem Muttertag so viel Bedeutung zugemessen wird. Wann bekommen Menschen Anerkennung, die Kinder verloren haben, die ihre Mutter verloren haben, die eine schwierige Mutter-Kind-Beziehung haben, keine Kinder haben können, die keine Kinder haben wollen?
Zementierte Klischees
Der zweite Grund, warum ich diesen «Feiertag» nicht mag: Der Muttertag, wie wir ihn kennen, zementiert das Bild der aufopferungsvollen Mutter, deren höchste Freude es ist, ihrem Nachwuchs stets zu Diensten zu sein und deren grösster Lohn strahlende Kinderaugen sind. Verstehen Sie mich nicht falsch: Ich finde die strahlenden Augen meiner Kinder auch wunderbar. All die Sprüche auf Kissen, Tassen, Postern und Dingen, von denen ich nicht mal wusste, dass sie sich bedrucken lassen, suggerieren aber, dass Mama die beste ist, weil sie ausschliesslich um das Wohlergehen ihrer Kinder besorgt, rund um die Uhr verfügbar und von Natur aus kompetent in allen Fragen des alltäglichen Lebens ist.
Hinter diesen Nettigkeiten versteckt sich eine weniger nette Anspruchshaltung: Wer als Mutter den Eindruck erweckt, nicht (genug) fürsorglich und verfügbar zu sein oder die Mutterrolle als naturgegebene Aufgabe zu betrachten, kommt mit «Rabenmutter» noch gut davon. Die angeblichen Komplimente sind ein klares Statement dafür, dass die Erfüllung der Mutterrolle wichtiger ist als Selbstfürsorge. Das macht Frauen mit Kindern ein schlechtes Gewissen, denn irgendwas und vor allem irgendwer kommt immer zu kurz.
Natürlich dürfen Mütter diese vorgezeichnete Rolle übernehmen, keine Frage. Wenn sie das wollen. Wie schön, wenn Menschen den Platz im Leben finden, der zu ihnen passt, in dem sie sich wohlfühlen und aufgehen. Es sollte nur nicht davon ausgegangen werden, dass das die einzige richtige und wichtige Rolle ist für Menschen, die geboren haben.
«Warum kann eine Mutter nicht einfach ein Mensch sein, der Kinder hat?»
So, wie ein Vater ein Mensch ist, der Kinder hat.
Damit nicht genug
Der dritte, und für mich triftigste Grund, den Muttertag nicht zu mögen: Der Gender Care Gap, der unter anderem im Gender Pay Gap resultiert. Obwohl Frauen Männer inzwischen in punkto schulischer Leistungen überholt haben, verdienen sie üblicherweise wesentlich weniger, als Hausfrau gar nichts. Ein Grund dafür ist der Gender Care Gap, also der Fakt, dass Frauen wesentlich mehr unbezahlte Care-Arbeit in Familie und Umfeld übernehmen als Männer, umso mehr, wenn Kinder da sind. Damit haben Mütter weniger Zeit für Weiterbildung, weniger Zeit für Erholung und schlechtere Karrierechancen (zusätzlich zu anderen Faktoren, die es Frauen ohnehin schon schwierig machen, beruflich voranzukommen).
Das tun sie machmal aus freien Stücken, noch häufiger aber, weil es an (bezahlbaren) Kinderbetreuungsangeboten und Teilzeitstellen, Perspektiven und Willen der Partner und/oder deren Arbeitgebenden mangelt, Care-Arbeit zu übernehmen resp. zu fördern. Ein Teufelskreis, der dazu führt, dass Frauen allgemein und solche mit Kindern im Besonderen im Alter weniger Rente als Männer bekommen und überdurchschnittlich stärker von Altersarmut betroffen sind.
Meine Wünsche zum Muttertag
Das grösste Geschenk wäre, die Mutterschaft von Überarbeitung und Geldsorgen zu befreien, Elternschaft von tradierten Bildern zu entstauben und überhaupt alle Menschen in ihren selber gewählten Rollen zu respektieren und wertzuschätzen.
Die Politik hat dafür zu sorgen, dass Frauen ihre Fähigkeit, Kinder zu gebären, nicht mit gesellschaftlicher Abwertung ihrer Leistung bei gleichzeitiger Überarbeitung, Lohnausfall und Altersarmut bezahlen.
Ich habe dafür auch schon konkrete Vorschläge (, die nicht alle auf meinem Mist gewachsen sind, sondern die kluge Menschen schon vor mir geäussert haben. Aber vielleicht, je öfter sie wiederholt werden … you know!).
- Mütter auf dem Arbeitsmarkt sind ab sofort nicht mehr weniger wert, weil sie ausfallen könnten, wenn ihre Kinder krank sind, lange «nicht gearbeitet» oder «eine Lücke im Lebenslauf» haben. Sondern dass der Job als Hausfrau und Mutter als das angesehen wird, was er ist: Erziehungs-, Pflege-, Haushalts, Organisations- und Führungsarbeit in einem. Ein Mensch, der diese Arbeit leistet und geleistet hat, ist oft überdurchschnittlich belastbar und effizient.
- Politische und wirtschaftliche Teilhabe war lange Zeit Männern vorenthalten, was bedeutet, dass Frauen keine Möglichkeiten hatten, diese Ämter und die dahinterstehenden Mechanismen mitzugestalten. Auch wenn Frauen inzwischen in diese Bereiche vordringen, so schaffen sie dies oft nur, wenn sie sich der herrschenden Kultur anpassen. Es braucht deshalb von Grund auf neue, faire, familienfreundliche Spielregeln:
- Anreize für Männer und männlich gelesene Menschen, Care-Arbeit paritätisch zu übernehmen
- mehrmonatige Elternzeit, frei aufteilbar, aber mit Mindestzeit für jeden Elternteil (nach schwedischem Vorbild), anstatt Mutterschaftsurlaub (Und wenn wir schon dabei sind: Abschaffung dieses wahnwitzigen, irreführenden Wortes – MutterschaftsURLAUB!).
- Teilzeitstellen für Führungspositionen
- Überhaupt mehr Teilzeitstellen in allen Berufen. Unternehmen bieten sie werdenden Vätern standardmässig an.
- Karriereplanung für junge Frauen mit zwei Szenarien: mit oder ohne Mutterschaftsunterbruch, in beiden Fällen weitsichtig und entwicklungsorientiert.
Die Liste ist nicht abschliessend. Schliesslich will ich Sie ja nicht komplett überfahren, heute, einen Tag vor dem Muttertag. Was haben Sie zu ergänzen? Was fehlt auf der Liste? Wie fühlen Sie sich in Ihrer Rolle als Mutter, Vater, kinderloser, kinderliebender, Care-Arbeit leistender Mensch? Ich freue mich über Ihre Gedanken, Ideen und Anmerkungen per Mail oder per DM auf Instagram.
Auf dass wir irgendwann den zweiten Sonntag im Mai feiern als «Tag der aufgebrochenen Rollenbilder» oder «Tag der Klischeefreiheit». Von mir aus auch mit selbstgebasteltem, farbigem, klebrigem, süssem Zeugs.