Zubehör. Zum ausgeklügeltesten Weihnachtsgeschenk der Welt.

Ein Plädoyer fürs Zuhören.

Foto: Unsplash, Loren Cutler

In Konflikten geht es darum, Recht zu bekommen oder am Schluss zumindest der gleichen Meinung zu sein. Oder? Fakt ist: Wir empfinden es manchmal als schmerzhaft, Konflikte nicht auflösen zu können. Dabei ist die schmerzhafteste Erfahrung nicht die andere Meinung – sondern die Abwertung, die man erfährt, wenn das Gegenüber nicht offen zuhört.

Letztes Jahr habe ich Ihnen grossspurig versprochen, dass ich weiss, was das ausgeklügeltste Weihnachtsgeschenk der Welt der ist, nämlich: Fragen stellen. Dieses Jahr präsentiere ich Ihnen das Zubehör dazu, das auch eigenständig verschenkt werden kann: Zuhören!

Wann haben Sie zuletzt ein gutes Streitgespräch mit jemandem geführt? Ein Gespräch, in dem verschiedene Meinungen aufeinanderprallten und das dennoch konstruktiv war? 

Ich muss zum Glück nicht lange nachdenken, um mich an viele gute Gespräche zu erinnern, weil in meinem Umfeld die meisten Menschen sehr bewusst und respektvoll kommunizieren. Ich muss aber auch nicht lange nachdenken, um ein Gespräch zu finden, in dem Recht haben wichtiger war als Argumente auszutauschen und sich gegenseitig zuzuhören. Das letzte Beispiel dafür war die Sendung Sonntagszeitung Standpunkte, in der ich im Oktober dieses Jahres zu Gast war als Expertin für gendersensible Kommunikation

Die Rhetorik der Rechthaberei

Ziemlich schnell war klar, dass es hier nicht um eine Diskussion geht, also eine Runde, in der man sich austauscht, sondern darum, möglichst viele Schlagwörter zu deponieren.

Eine Diskussionsteilnehmerin, die sich vehement gegen das Gendern ausspricht, hat sinngemäss in die Runde gefragt: «Wo kämen wir denn da hin, wenn wir auf jede Minderheit Rücksicht nehmen müssten?»

Mir kamen die Worte von Elif Shafak, eine der meiner Meinung nach bedeutendsten Autorinnen der Gegenwart, in den Sinn: «Je weniger Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund miteinander kommunizieren und sich ineinander einfühlen können, umso weniger wird Menschlichkeit an sich wertgeschätzt, umso weniger Gleichheit und Inklusion herrschen im öffentlichen Raum…»

Wo kämen wir denn hin, wenn wir auf jede*n Rücksicht nehmen würden? 

Ja, wo kämen wir da hin? 

Wir kämen an einen besseren Ort. Wir kämen an einen Ort, an dem sich alle sicher und wohl fühlen und entsprechend ihre Kraft entfalten könnten. Denn im Grunde ist es doch ganz einfach – zu den Grundbedürfnissen jedes Menschen gehört es, wahrgenommen zu werden als Individuum. Gesehen und gehört zu werden. Dass ich mich zeigen darf mit allen Anteilen, allen Gedanken, Ideen und Lebensrealitäten und mir wirklich zugehört wird.

Zuhören schafft Beziehungen

Jemandem zuzuhören zeugt nicht nur von Respekt und Anstand. Es bringt Sie näher zu dem Menschen, dem Sie zuhören, dem Sie zu verstehen geben:

  • Ich bin meinem Gegenüber so viel wert, dass es sich Zeit nimmt, mich ausreden zu lassen. 
  • Mein Gegenüber findet mich genug wichtig, dass es wissen will, wie ich die Welt sehe, wie ich fühle, was mich beschäftigt. 
  • Mein Gegenüber nimmt mich ernst. 
  • Meine Wahrnehmung ist wichtig.

Zuhören bringt Sie auch näher zu sich selber: Wenn Sie nämlich zuhören ohne zu unterbrechen, müssen Sie Ihre Gedanken und Gefühle zum Gesagten beobachten. Was triggert Sie? Wo würden Sie sich am liebsten einmischen? Was verstehen Sie, auf der sachlichen oder emotionalen Ebene, nicht?

Die Spitze des Eisbergs verlassen

Bei diesen echten Gesprächen wird meist klar, dass das Thema der Diskussion nur die Spitze des Eisbergs ist. Wie ich das meine? Nun, lassen Sie mich ein Beispiel machen mit gendersensibler Kommunikation.

Ich höre gerne Menschen zu, die gendersensible Sprache doof finden. Wenn beide Zeit für ein Gespräch haben, wird beim Zuhören meist schnell eines klar: Es geht weniger um die Sprache an sich, als um Ängste, die der Thematik zugrunde liegen. Dass «Männer bald nichts mehr zu sagen haben», dass «Minderheiten plötzlich mehr zu sagen haben als die Mehrheit.»

Nun wäre es ein Leichtes, zwei Dinge zu sagen: Einerseits, dass gendersensible Kommunikation eine Mehrheit der Menschen abbildet und andererseits, dass gendersensible Sprache ist nichts Anderes als ein Ausdruck von Respekt gegenüber anderen Menschen. Dahinter steckt keine Ideologie, sondern Fakten und Anstand: Ich spreche Sie so an, wie Sie gerne angesprochen werden möchten; ich mache in der Sprache sichtbar, dass es Sie (wenn Sie eine Frau oder non-binäre Person sind) überhaupt gibt. 

«Glaubenssätze werden in einer wertschätzenden Zuhörrunde wie Schätze ans Licht gehoben.»

Und können dann von allen Seiten betrachtet und geprüft werden.

Aber viel spannender wird es, wenn wir nachfragen und nachhaken ohne zu werten. Auch Elif Shafak sagt: «Gruppendenken und Filterblasen sind deshalb so gefährlich, weil sie lediglich das eigene Wissen und die eigene Meinung wiederholen. Wiederholung mag vertraut sein und beruhigend wirken, fordert aber weder den Geist noch das Gefühl oder ändert das Verhalten.» Fragen Sie nach:

  • «Warum denkst du das?»
  • «Wie fühlst du dich dabei?»
  •  «Was meinst du damit?» 
  • «Erzähl mir mehr darüber.»
  • «Ich kann dir gerade nicht folgen, kannst du mir das erklären?» 
  • «Du meinst/ findest also, dass….?»
  • «Gibt es etwas, das dir an meiner Meinung Angst macht?»

Sehr wahrscheinlich wird Ihnen irgendwann bewusst, dass sich unter der Oberfläche versteckte Glaubenssätze verbergen. Diese werden in einer solch wertschätzenden Zuhörrunde wie Schätze ans Licht gehoben. Wie schön, oder?

Sie könnten ja jemandem so einen Schatz zu Weihnachten schenken. Eine Karte mit einem Gutschein zum Zuhören, zu einem ganz schwierigen Thema oder weil sonst oft wenig Zeit dazu war. Mal schauen, wohin das Sie und die beschenkte Person bringt. Berichten Sie mir von Ihrer Erfahrung? Ich würde mich ungemein freuen darüber.

Schöne Festtage! Alles Liebe! 

Asha Ospelt-Riederer

P.S. Eigentlich ist jede*r von uns ist in der Lage, ein solches Gespräch zu führen, auch ohne Anleitung. Wir müssen nur darüber nachdenken, wie wir selber gerne hätten, dass mit uns kommuniziert wird. Und Achtung, jetzt kommt mein Bezug zu Weihnachten: Die Goldene Regel, die im Islam, im Judentum, im Buddhismus und im Hinduismus gleichermassen gilt, heisst: «Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst.»

P.P.S. Das «Eigentlich» oben bezieht sich auf folgendes Phänomen: Sollten Sie während eines Gesprächs bemerken, dass Ihr Gegenüber Sie nicht ausreden lässt, laut wird, die Augen verdreht, mit dem Finger zeigt oder Ähnliches, wissen Sie dass er*sie  nicht an einem wirklichen Austausch interessiert ist. Dann denken Sie daran: Wer recht hat, braucht sich nicht zu rechtfertigen. Und schalten Sie auf Durchzug. Durchlüften ist ja auch im Winter ganz gesund.